Aristophanes & An Angry Inch

Der mensch­liche Hochmut ist nicht erst Thema der Bibel sondern auch schon bei Platon. Im Sympo­sion lässt er Aris­to­phanes eine merk­wür­dige Geschichte erzählen, wonach es einst drei Geschlechter gegeben habe, die Kugel­frau, den Kugel­mann und das Misch­wesen Kugel-Weibmann. Sie waren gemäß dem Mythos abge­sehen von der Unsterb­lich­keit den Göttinnen und Göttern gleich, indem sie in sich selbst waren und daher keine Sehn­süchte, am aller­we­nigsten nach geschlecht­li­cher Verei­ni­gung hatten.

Nun aber wollten sich diese nur allzu mensch­li­chen Kugel­wesen in ihrem Übermut einen Weg zum Himmel bahnen und die Götter bannen. Darauf beriet sich der Himmels­herr­scher Zeus mit den anderen Göttinnen und Göttern, wie zu verfahren sei. Die helle­ni­schen Götter wollten ungleich dem uns aufge­nö­tigten Rache­gott das Menschen­ge­schlecht nicht gleich vernichten, sondern ange­messen bestrafen. Aber wie?

Endlich nach langer Über­le­gung sprach Zeus: Ich glaube, ein Mittel gefunden zu haben, wie die Menschen erhalten bleiben können und doch ihrem Übermut Einhalt geschieht, indem wir sie nämlich schwä­chen. Lasst uns jeden von ihnen in zwei Hälften zerschneiden, und so werden sie zugleich schwä­cher und uns nütz­li­cher werden, weil dadurch ihre Zahl vergrö­ßert wird.

Diese Teilung blieb nicht frei von Neben­wir­kungen, denn fortan sehnten sich die Hälften jeweils nach der anderen. Aller­dings war Zeus ein Fehler unter­laufen, denn die halben Menschen trugen ihre Geschlechts­teile nach hinten, wodurch sie nicht inein­ander zeugten und gebaren, sondern in die Erde, wie die Zikaden. Dies hätte aller­dings die Anzahl der Menschen bald wieder verrin­gert, also mussten die Götter erneut ans Werk.

So verlegten sie die Geschlechs­teile nach vorne und bewirkten dadurch

die Erzeu­gung inein­ander, nämlich in dem Weib­li­chen durch das Männ­liche, zu dem Zweck, dass, wenn dabei ein Mann auf ein Weib träfe, sie in der Umar­mung zugleich erzeugten und so die Gattung fort­ge­pflanzt würde; wenn dagegen ein Mann auf einen Mann, sie wenigs­tens von ihrem Zusam­men­sein eine Befrie­di­gung hätten und so davon gesät­tigt inzwi­schen ihren Geschäften nach­gingen und für ihre übrigen Lebens­ver­hält­nisse Sorge trügen. Seit so langer Zeit ist demnach die Liebe zuein­ander den Menschen einge­boren und sucht, die alte Natur zurück­zu­führen und aus zweien eins zu machen und die mensch­liche Schwäche zu heilen.

Folgende Anima­tion (fran­zö­si­sche Adap­tion mit engli­schen Unter­ti­teln von Pascal Szidon, gespro­chen von Jean-François Balmer) möge den aris­to­pha­ni­schen Mythos illustrieren:

Von der Liebe unter Frauen ist leider weder bei Aris­to­phanes noch in dieser ansonsten sehr gelun­genen Adap­tion die Rede, denn Platon bzw. seinem Sprach­rohr Aris­to­phanes kam es nur auf die Legi­ti­mie­rung der Männer­liebe an.

Logi­scher­weise gilt aber Analoges auch für die Frau­en­liebe und für diese haben wir zumin­dest ein würdiges Vorbild, nämlich Sappho, die schon lange vor Platon eine Akademie betrieb, an der sie im Sinnes des höchsten Eros aris­to­kra­ti­sche Mädchen in das Wesen der Aphro­dite einweihte.

Der aris­to­pha­niche Mythos bietet jeden­falls ganz im Gegen­satz z.B. zur ach so von Nächs­ten­liebe durch­flu­teten christ­li­chen Herden­moral eine (nicht die!) für alle Menschen befrie­di­gende Ausle­gung mensch­li­chen Sexu­al­ver­hal­tens inklu­sive Homosexualität.

Inter­es­sant ist natür­lich auch, dass aus dem Mythos rein mathe­ma­tisch folgt, dass je nach Lesart bloß die Hälfte oder gar nur ein Drittel der Mensch­heit tatsäch­lich hete­ro­se­xuell und somit von Natur aus berufen wäre, eine im Sinne der soge­nannten Menschen­rechte konven­tio­nelle Familie zu gründen.

Wie auch immer, glück­li­cher­weise haben weder die Dogmen der Herden­re­li­gionen noch die Märchen aus den Wissen­schaften die alten Mythen jemals voll­ständig ausrotten bzw. sich einver­leiben können, sodass die phan­ta­sie­vollen »alten« Erzäh­lungen immer wieder daran erin­nern, wie jämmer­lich es gerade heut­zu­tage um die Mensch­heit bestellt ist, z.B. im Song »Origin of Love« aus dem Musical »Hedwig and the Angry Inch« (original cast):


Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird niemals weitergegeben.Erforderliche Felder sind mit einem * markiert.