Die Buch Wien 2012 – Eine Nachlese

I ZUR EINSTIMMUNG

Was anno 1948 als Leis­tungs­schau des öster­rei­chi­schen Verlags­we­sens in den Hofstal­lungen des Wiener Messe­pa­lasts begonnen hatte, entwi­ckelte sich nach Angaben der dama­ligen Veran­stalter bis 2007 zur größten Bücher­schau Öster­reichs. Jene 60. Buch­woche fand noch im noblen Ambi­ente des Wiener Rathauses statt. Doch offenbar fühlten sich die Rathaus­be­amten durch diese jähr­liche Groß­ver­an­stal­tung derart aus ihrem Schlummer gerissen, dass sie nach einigen Jahren dieser Qual Rache übten und die Bücher­schau in die Messe Wien verlegen ließen, womit diese nunmehr Buch Wien genannte Veran­stal­tung endgültig zur Verun­stal­tung wurde. Denn das Unwesen öster­rei­chi­scher Verlage hat Jahr­zehnte hindurch sehr erfolg­reich die Bücher ihres Wesens beraubt. Und die aktu­ellen Veran­stalter tun seit der Verle­gung in die Messe Wien ihr Übriges, der Bücher­schau auch noch ein optisch anspre­chendes Ambi­ente zu rauben.

Der Haupt­ver­band des öster­rei­chi­schen Buch­han­dels (HVB) versam­melte nämlich heuer die Aussteller bereits das fünfte mal in der Halle D, die ironi­scher­weise mehr mit einem Altpa­pier­con­tainer denn einer Bühne zur Präsen­ta­tion von Buch­neu­heiten hat. Dieses Ambi­ente reicht für die Ziele des HVB aller­dings auch völlig aus, denn der Präsi­dent des HVB machte in seiner späteren ersten Bilanz gar kein Hehl daraus, dass sein Verein1 mit der alljähr­li­chen Messe eigent­lich nur ganz wich­tige Impulse für das Weih­nachts­ge­schäft im Buch­handel setzt.

II ERSTER RUNDGANG

Vor diesem Hinter­grund ist es natür­lich nicht verwun­der­lich, dass die Messe­gäste in der Halle D Ausstel­lungs­kojen vorfanden, die ästhe­tisch kaum von jenen in den WC-Anlagen zu unter­scheiden waren, und dass in diesen nichts als verkauf­s­träch­tige Trivi­al­li­te­ratur geboten wurde. Dafür hat man im Container für laut­starke Unter­ma­lung auf gleich 7 (!) Bühnen gesorgt. Auf diesen wurde zwar nur der Jahr­markt der Eitel­keit, dieser dafür in unzäh­ligen Vari­anten, zele­briert. Den Veran­stal­tern gereichte dies aber offen­kundig als Recht­fer­ti­gung, für ihre Show den Phan­ta­sie­preis von € 7,- (in echtem Geld immerhin ATS 96.32) zu verlangen. Glück­li­cher­weise hatte mir meine Schwester eine Frei­karte überlassen!

II ZWEITER RUNDGANG

Trotz dieses ersten Eindrucks machte ich mich mutig auf die Suche nach einem wirk­lich schönen Buch, jener Sorte Buch, die man in Fach­kreisen biblio­phile Ausgabe nennt und die mehr dem Inter­esse biblio­philer Menschen als einer vorweih­nacht­li­chen Verlags­kasse dient. In diesem Zusam­men­hang sei erwähnt, dass zur Verlags­kas­sen­op­ti­mie­rung auch hier­zu­lande das soge­nannte e-book langsam Fuß fasst2, jener Sorte „Buch“, die gar keines mehr ist und für welche die Leserin keinerlei Rechte hat außer fast dasselbe zahlen zu dürfen wie für die Prin­t­aus­gabe, obwohl bei der Erstel­lung einer Buch­datei weder Druck-, noch Lager­kosten etc. anfallen. Einigen wird diese Art Wucher bekannt vorkommen, spielte sich doch einst auf dem Musik­sektor beim Umbruch von Vinyl auf CD genau dasselbe ab!

Dann endlich der erste Glanz­punkt: pssst! zischte es mir vom Stand des Dom-Verlages entgegen.

PSSST!!! gab ich an die 7 Bühnen weiter, auf denen nach wie vor gleich­zeitig eintönig und einfältig geschwatzt wurde. Mein Appell nützte leider gar nichts, und so musste ich mir die Stille für die Betrach­tung der rand | stunden | gebete von Rudi Weiß, einem Buch für Atem­lose und Luft­schöpfer, herbei phan­ta­sieren. Wahllos schlug ich an irgend­einer Stelle auf und fand zu lesen:

Frage an EU-ropa

geheim­dienst
aufrüs­tung
und tote grenzen

- beim krieg kannten wir uns aus

wie aber
führt man frieden

Was für eine gelun­gene lyri­sche Analyse des auf rein peku­niärer Basis geeinten EU-ropa! Die derart prekär geeinte Halb­insel zeichnet sich in der Tat quer durch die ganze Geschichte durch höchst unrühm­liche Kultur­tech­niken, darunter (Massen-)Morde, aus, daran ändert auch der heuer verlie­hene Frie­dens­no­bel­preis nichts! Ganz im Gegen­teil scheint mir die Vergabe des Preises an die EU eher eine Bestä­ti­gung euro­päi­schen Geba­rens sein, wurde der Preis ja schon des öfteren an alles andere als Frieden stif­tende Leute vergeben! Daher die nur allzu berech­tigte Frage: WIE FÜHRT MAN FRIEDEN? Gute Frage, mein lieber Rudi Weiß, leider weiß in EU-ropa niemand eine Antwort darauf.

Gleich darauf gab mir der Dichter ein Rätsel auf:

Rätsel

die helden­plätze derer
die frieden führten

wo … ?

Stimmt, Helden­plätze werden gemäß der euro­päi­schen Menta­lität nur für die (Massen-)Mörder der angeb­lich „gerechten“ Art errichtet. Genau diese Sitte macht jene Kultur­technik für die Vielen geistig weniger regen schmack­haft, um wenigs­tens als „Helden“ in die Geschichte einzugehen.

Auch die anderen Texte, umspielt von Fotos des Lyri­kers, verleiten auf eine pfif­fige Art zum Nach­denken und Hinter­fragen, sodass es mir, erst recht in Kombi­na­tion mit dem gelun­genen visu­ellen Konzept, ideal für ein Geschenk erscheint. Fragt sich nur: für wen? Wer liest schon Lyrik in einem Land, in dem sich jeder selbst für den geni­alsten Lyriker hält?

In einer anderen Koje, jener des ADEVA Verlages, lockte mich ein Lese­pult an. Darauf lag majes­tä­tisch ein in Leder gebun­dener Foliant und daneben ein aufwändig gestal­teter Prospekt, der ankün­digte: Liber scivias – Die gött­li­chen Visionen der Hilde­gard von Bingen. Ach ja, sie war ja im Oktober zur Kirchen­leh­rerin erhoben worden und steht damit neuer­dings auf der glei­chen Stufe wie etwa Augus­tinus. Der Foliant würde als Faksi­mi­le­band Hilde­gards Visionen vom Wirken Gottes bis zum Ende der Zeit in Luxus­aus­füh­rung  in 99 hand­num­me­rierten Exem­plaren, enthal­tend die 242 origi­nal­ge­treu beschnit­tenen Folios in Leder­ein­band mit origi­nal­ge­treuer Blind­prä­gung und Beschlägen aus Messing erscheinen. Luxu­riös ist aller­dings auch der Preis: € 13.500,00! Das liegt nun leider doch etwas über meinen Möglich­keiten und ich werde wohl weiterhin mit meiner bei Otto Müller verlegten Ausgabe, die übri­gens auch sehr schön ist, Vorlieb nehmen müssen.

Vom letzten Jahr waren mir noch Elisa­beth Schwa­deras Perse­phones Spuren3 aus der Edition König­stein in aller­bester Erin­ne­rung, welche ich kurz nach jener Messe meiner briti­schen Verbün­deten geschenkt hatte. Auch heuer war die Edition König­stein vertreten. Herbst­neu­ig­keit: Ausge­wählte Fabeln von Jean de la Fontaine, neu erzählt von unter anderen von Elisa­beth Scha­werda. Allein das Buch in Händen zu halten und darin zu blät­tern war schon ein Hoch­ge­nuss. Dieser Verlag hat sich nämlich als Ziel gesetzt, lite­ra­ri­sche Texte mit Origi­nal­gra­fiken als biblio­phile Bücher in kleinen, limi­tierten und signierten Auflagen herzu­stellen, arbeitet mit Tief­druck– und Andruck­presse und bindet die Bücher von Hand in Leinen. Schon die Beschrei­bung ist ein Fest für die Sinne, nicht?

Leider riss mich bald darauf ein drin­gendes Bedürfnis aus meiner Schwärmerei.

Auf halbem Weg zum stillen Örtchen erspähte ich bei Suhr­kamp noch Bern­hards Alte Meister. Als Graphic Novel verkleidet. Reger, gezeichnet von einem gewissen Mahler, zeigte mir den Hintern. Kurz darauf war ich vom WC auf der Buch Wien positiv über­rascht, genauso wie Reger von der Toilette im Ambas­sador. Denn ansonsten hat Wien, ja ganz Öster­reich, keine Toilet­ten­kultur, so Thomas Bern­hards Reger. Man munkelt aller­dings, dass es um die öster­rei­chi­sche Verlags­kultur inzwi­schen viel schlimmer als um die Toilet­ten­kultur bestellt ist. Ganz hoff­nungslos ist die Lage aber noch nicht, denn es gibt ja, wie ich mich über­zeugen konnte, immer noch einige glanz­volle Ausnahmen!


  1. Der HVB ist im Vereins­re­gister unter der ZVR-Zahl 121446820 einge­tragen
  2. Hierzu eine E-Book-Studie 2012 des HVB (pdf)
  3. Dazu eine Buch­be­spre­chung aus Der lite­ra­ri­sche Zaun­könig Nr. 1/2010 (pdf)

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