Bislang dachte ich, der allgegenwärtige Katastrophen-Journalismus wäre eine Erfindung der modernen Medienwelt. Unlängst wurde ich eines besseren belehrt: Till-Holger Borchert, Kurator im Groeningemuseum in Brügge, und der US-Amerikaner Joshua P. Waterman, Mitarbeiter am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, gaben Ende 2013 im Taschen-Verlag „Das Wunderzeichenbuch“ heraus. Das Buch entstand um 1550 in Augsburg und enthält 167 farbige Gouachen und Aquarelle, jeweils mit kurzem erläuternden Text des Geschehens versehen. Die Wunderzeichen beginnen mit der Sintflut und enden mit dem Engel aus der Offenbarung des Johannes. Dazwischen finden sich in chronologischer Reihung Kometen, Missgeburten, Erdbeben, Sonnenfinsternisse, Überschwemmungen und gelegentlich auch Drachen.
Woran erkennt man den Weltuntergang? In der Renaissance glaubte man die Apokalyple durch himmlische Zeichen zu erkennen. Das Wunderzeichenbuch aus Augsburg zeigt die Vorstellungswelt des 16. Jahrhunderts in magischen Bildtafeln.
So die recht reisserische Ankündigung des »Wunderzeichenbuches« im Bayerischen TV. Die erläuternden Texte bestehen allerdings in seltsamen Kontrast zu den Bildern aus nüchternen und einfachen Protokollsätzen, ohne nach einem „Warum?“ zu fragen und ohne Hinweis auf eine Gottesstrafe oder dergleichen.
Die Blätter könnten also – abgesehen von der technischen Darstellung – genauso gut aus einer beliebigen zeitgenössischen Tageszeitung sein. Hierzu attestiert Hans Durrer, Autor der „Ways of Perception“, unseren Massenmedien eine „atemberaubende“ Uniformität, „die weltweit, so scheint es, exakt dieselben Nachrichten– und Bilder-Präferenzen“ haben. „und das womöglich schon seit geraumer Zeit“, könnte man hinzufügen, denn das „Wunderzeichenbuch“ handelt, wie es scheint, nicht wirklich von Wunderzeichen. Vielmehr hat damals jemand Naturphänomene ohne jegliches Interesse an der damals üblichen theologisch-moralischen Deutung gesammelt.
Beispielsweise steht unter einem Drachenbild: „Im 1533. Jahr, im Oktober, hat man in Böhmen und dem Vogtland, auch im Ascher Ländchen fliegende Drachen gesehen, auf dem Kopf eine Krone, ein Rüssel wie ein Schwein, und auch zwei Flügel. Es dauerte dann etliche Tage an, dass jeden Tag von ihnen mehr als vierhundert miteinander geflogen sind, sowohl große als auch kleine, wie hier gemalt ist.“
Kein Wahr und Falsch, kein Gut und Böse, nur räumlich und zeitlich überprüfbare Beobachtungen. Man konnte anhand des Bildes Zeitgenossen vor Ort fragen, ob sie die Drachen gesehen hatten. Die Bilder veranschaulichen also etwas, das man dem Maler erzählt hat – ähnlich wie heute ein Polizeizeichner ein Phantombild nach einer Beobachtung eines Anderen erstellt.
Die Gemälde stellten das geschilderte Geschehen allerdings möglichst drastisch dar. Ganz so wie die Photos in den modernen Medien!
Nähere Informationen zum Buch beim Verlag
Video »Das Wunderzeichenbuch Das Ende der Welt« des Bayerisches Fernsehens vom 06.02.2014, 22:00 Uhr:
http://www.youtube.com/watch?v=p6LWzOhOqoU
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